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10.12.2022

Aberkennung von Ehrenbürgerwürden

Oberbürgermeister Dr. Scharpf zur Stadtratsentscheidung

In seiner Dezember-Sitzung hat der Stadtrat einstimmig die Ehrenbürgerwürden von Personen posthum aberkannt, die durch die NS-Zeit belastet sind.
Dazu äußert sich Oberbürgermeister Dr. Christian Scharpf:
„Ingolstadt ist eine vielfältige, eine bunte und offene Großstadt. Ingolstadt blickt aber auch auf ein dunkles Kapitel während des nationalsozialistischen Regimes zurück. Seit vielen Jahren bemühen sich die Stadt und viele engagierte Bürgerinnen und Bürger, diese Zeit umfassend aufzuarbeiten – in Form von Forschung, Ausstellungen, Mahnmalen, Gedenkveranstaltungen, Buchprojekten und der Vermittlung in Schulen und Bildungseinrichtungen. Im letzten Jahr wurde auch die Projektgruppe ,Opfer des Nationalsozialismus‘ beim Stadtarchiv initiiert.

Zu einer transparenten und verantwortungsvollen Aufarbeitungskultur unserer Stadtgeschichte gehört auch die Auseinandersetzung mit der Ehrenbürgerwürde von Personen, die in besonderem Bezug zum Nationalsozialismus standen und dadurch belastet sind.

Juristisch gesehen erlischt eine Ehrenbürgerwürde zwar mit dem Tod. Aber hier geht es nicht um eine rechtliche, sondern um einen politischen, einen gesellschaftspolitischen Akt. Gerade in Zeiten, in denen Demokratie und Menschenrechte weltweit in Frage gestellt werden und wo sich auch hier in Deutschland demokratiefeindliche Allianzen aus sogenannten Querdenkern, Rechtspopulisten und Verschwörungstheoretikern bilden und agieren, ist es wichtig, dass eine demokratische Stadtgesellschaft ein klares und unüberhörbares Zeichen setzt.

Dass die Frage der Ehrenbürgerwürde aus der NS-Zeit – 77 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – noch immer unbeantwortet ist, kritisieren viele Bürgerinnen und Bürger. Zu Recht, wie ich meine. Es ist ein historisches Versäumnis. Als Oberbürgermeister war es mir von Beginn an ein persönliches Anliegen, diese Debatte offen zu führen, den Sachverhalt umfassend aufzuarbeiten und abschließend im Stadtrat zu entscheiden.

Dieser Verantwortung haben sich alle Ingolstädter Stadträtinnen und Stadträte in den letzten Monaten umfassend und intensiv gestellt. Dass am Ende einer umfassenden und konstruktiven Auseinandersetzung mit dem Thema ein breiter Konsens über alle Fraktionsgrenzen hinweg gefunden wurde, ist für unsere Stadt ein bedeutsames Zeichen der Geschlossenheit und freut mich persönlich sehr.

So hat der Stadtrat nun beschlossen, den Personen, die die Ehrenbürgerwürde während der NS-Zeit erhalten haben, diese posthum abzuerkennen. Das betrifft Adolf Hitler, Paul von Hindenburg, Ernst Röhm, Adolf Wagner, Franz Ritter von Epp, Ludwig Liebl und Friedrich Schott. Ein Schritt, der längst überfällig war.

Josef Listl ist zwar durch einen demokratisch gewählten Stadtrat 1965 zum Ehrenbürger ernannt worden, er war aber als Oberbürgermeister der Stadt Amtsträger während der NS-Herrschaft und für die nationalsozialistische Stadtpolitik an führender Position mit verantwortlich. Auch ihm wurde als exponiertem Vertreter des nationalsozialistischen Unrechtssystems in Ingolstadt die Ehrenbürgerwürde aberkannt.

Das ist und kann kein Schlussstrich sein. Das Kapitel ,Ingolstadt im Nationalsozialismus‘ ist längst nicht vollständig erforscht. Wir wollen es geschichtswissenschaftlich vertieft untersuchen lassen, gerade zu bisher unerforschten Opfergruppen und insbesondere auch zur Rolle der städtischen und staatlichen Organe. In diesem Zuge ist auch das Wirken von Wilhelm Reissmüller genauer zu beleuchten und über die Aberkennung von dessen Ehrenbürgerwürde zu entscheiden.“